Mechanistisches Weltbild

Das mechanistische Weltbild (auch: Mechanizismus, Mechanistik, mechanistische Weltanschauung oder Mechanismus) bezeichnet eine philosophische Position oder Anschauung über die Natur, die ihre Bedeutung erst mit Beginn der neuzeitlichen Naturwissenschaften erhalten hat, allem voran seit Beginn der Klassischen Mechanik.[1] Im allgemeinen Sinn, hier verstanden als gemeinsame Schnittmenge verschiedener Definitionen, umfasst das mechanistische Weltbild die Vorstellung, dass alle Vorgänge in der Natur durch mechanische Bewegungsgesetze über die sichtbare Materie, d. h. durch eindeutige, externe Kraftwirkung auf materielle Körper, bestimmt sind.[2][3][4][5]

Weitergehende philosophische Auseinandersetzungen um das mechanistische Weltbild betreffen Spezialisierungen dieser allgemeinen Kennzeichnung „Bestimmung durch mechanische Gesetze“. Versteht man unter Mechanistik eine vollständige Bestimmung, so ist das Weltbild deterministisch und dasjenige Feld der physikalischen Größen, von denen hierbei gesprochen wird, gilt als abgeschlossen.[6] Wird zudem die Materie systematisch durch die mechanischen Gesetze der Atome bestimmt, so ist der Mechanizismus eine speziell materietheoretische Auffassung und fällt mit der philosophischen Position des Materialismus zusammen.[7] Von dieser Spezialisierung aus wird der Mechanizismus zu einer Gegenposition des Vitalismus: Demnach wird die Existenz geistiger Entitäten in der Wirklichkeit ausgeschlossen und vollständig auf leblose Materie reduziert.[8][9]

  1. Repräsentative Bezeichnungen geben häufig die Titel der Schriften zur Mechanistik selbst her; siehe dazu etwa die Titelauswahl im Weblink R. Müller hier (abgerufen am 4. Januar 2024). Vereinzelt findet man auch die Bezeichnung ‚mechanische Philosophie‘; siehe dazu die Literatur hier. Mehrdeutig sind die Begriffe Mechanismus und ‚mechanische Anschauung‘, die ebenso technische oder physikalische Fachgebiete umfassen können (z. B. Mechanische Spannung, oder Mechanisches Stellwerk).
  2. «[D]er Mechanismusbegriff [wird] inhaltlich durch die Prinzipien der physikalischen Mechanik und ihrer historischen Entwicklung bestimmt» (G. Schiemann (1997), hier in der Literatur, S. 24). Der Mechanismus ‹in einem weiteren Sinne› spezialisiert (nach ebd., S. 21) die Art der Beziehung zwischen Materie und Bewegung hingegen nicht.
  3. Die Kennzeichnung in E. Dijksterhuis (1983), hier in der Literatur, S. 553 f., entspricht dieser Erklärung, wenn «„mechanistisch“ als „mit Hilfe der Begriffe der Mechanik“» umschrieben wird, «wobei dann, solange es sich um die klassische Physik handelt, Mechanik als die Lehre der Bewegung materieller Körper nach dem Newtonschen System aufgefasst werden» müsse; betont also die ‹mathematische Behandlung› der Natur: «daß ihre fundamentalen Begriffe [d. i. die der klassischen Mechanik] mathematische Begriffe sind, daß sie selbst eine Mathematik ist».
  4. P. Feyerabend, Naturphilosophie (Abschnitt Mechanizismus, S. 214–223). In: A. Diemer, I. Frenzel, Philosophie. (Fischer-Lexikon). Frankfurt am Main, Hamburg 1958; nimmt eine wertende Definition an und verortet seine Hauptausprägung in das 18. und 19. Jahrhundert: «In diesem Weltbild, das sich bald allgemein durchsetzt, sind die Gravitations- und alle andern Kräfte als physikalische Prinzipien akzeptiert. Der Mechanizismus ist im 19. Jh. das Glaubensbekenntnis nicht nur der Physiker […], sondern vor allem auch der Biologen.»
  5. K. Gloy (1995), hier in der Literatur, S. 553 f., behandelt das mechanistische Weltbild ausgehend vom Kraft-Begriff der Technik. Die Wandlung zur umfassenden Technisierung der Natur in der neuzeitlichen Naturwissenschaft bringt das ‹mechanistische Welt- und Naturbild› mit sich, in welcher als ein zentrales Merkmal «die These von der Identifikation der Natur mit einem maschinellen Artefakt» enthalten ist. Nach neuzeitlichem Naturverständnis ist aber die Mechanik bestimmende Gesetzgebung nicht nur diejenige der technischen Maschinen, sondern aller Naturvorgänge überhaupt: «Mit der Entwicklung der machina-mundi-Vorstellung [d. i. einer Weltmaschine] ging die Ausarbeitung einer neuen Kräftetheorie einher, die zum kausal-mechanischen Weltbild führte.» Die Charakterisierung in diesem Artikel folgt mehrheitlich der umfassenden Kennzeichnung nach Gloy.
  6. Siehe dazu W. Heisenberg, Der Begriff der „abgeschlossenen Theorie“ in der modernen Naturwissenschaft. Dialectica Bd. 2 (3‐4) S. 331–336 (1948); sowie K. Gloy (1995) hier in der Literatur, S. 553.
  7. In diesem Sinne, «dass mehr die Physik und Chemie, oder die Biologie bestimmend sein kann» und somit eine «Entsprechung zur physikalischen Mechanik» vorherrsche, wurde auch die Bezeichnung ‹mechanistische Materialismus› eingeführt: so in A. Diemer, Materialismus (Abschnitt Der klassische Materialismus, S. 177–178). In: A. Diemer, I. Frenzel, Philosophie. (Fischer-Lexikon). Frankfurt am Main, Hamburg 1958.
  8. In diesem Sinn wird Mechanistik oft in Debatten zur Reduktion und Emergenz von Eigenschaften verstanden. Siehe etwa S. 177 von P. Hoyningen-Huene, Reduktion und Emergenz (Kap. 8 in Wissenschaftstheorie – ein Studienbuch. Hrsg. v. A. Bartels, M. Stöckler. (mentis) Paderborn 2007)
  9. So charakterisiert bereits O. Bütschli (1901), hier in der Literatur, S. 7 f., mit dem Begriff ‚Mechanismus‘ die ‹mechanistische Auffassung der Lebenserscheinungen›: und zwar als die «Rückführung auf die Geschehensweisen der anorganischen Natur».

Developed by StudentB